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Deine Figuren bekommen die Chance, vor dem großen Finale einen Abschiedsbrief zu schreiben. Welchen davon zeigst du uns?
Ich habe für diese Aufgabe Amandine von Ammern gewählt. Sie ist die Mutter von Jonathan und die Frau von Theodor. Leider starb sie schon 5 Jahre vor Jonathans erstem Auftritt in Paraguay mi Amor Teil 3 –nämlich im Sommer 1995 auf Ibiza, wo die Familie eine Finca besitzt. Sie litt an Brustkrebs und starb, als Jonathan 16 Jahre alt war. Ihr Tod wird im Buch mehrmals erwähnt, aber man erfährt keine Details. Da sie gebürtige Französin ist, ist der Brief natürlich in Französisch geschrieben. Ich habe ihn hier auf Deutsch wiedergegeben. Aus Gründen der Authenzität habe ich allerdings einige französische Vokabeln im Text belassen, ich hoffe, ihr seht es mir nach. Lest nun also meine Geschichte:
Silvester 1995, Hamburg-Harvestehude„Nein, Jonathan, das ist doch wirklich nicht dein Ernst!“ Fassungslos sehe ich meinen Sohn während unseres leichten Silvesterlunches über unseren imposanten antiken Mahagonitisch an, dessen Hölzer einer meiner Vorfahren aus Afrika mitgebracht hat und daraus ein Prachtstück hat tischlern lassen. Wir sind ungefähr 2,5 m voneinander entfernt. Schon unsere Tischplatzierung deutet auf den Zustand unserer Vater-Sohn-Beziehung hin. Unsere Distanz hat sich seit Amandines Tod im Sommer eher noch vergrößert, der Graben, der uns trennte, ist zu einem tiefen reißenden Fluss geworden. Keiner wagt sich den Weg zum anderen Ufer zu nehmen, denn die Brücke-Amandine ist nicht mehr da!
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Hamburger Sommerdom, 21.8.1999
„Neuuueee Fahrt, neeuuues Glück!-Auf gehts Leute! Habt ihr auch alle so viel Spaß???“ dröhnt eine aufgedrehte Stimme durch die Lautsprecher beim Rollercoaster auf dem Dom. Eine Reihe vergnügungssüchtiger junger Hamburger*innen sitzt auf dem Fahrgeschäft, nur gehalten von Rollbügeln, die Füße baumeln in der Luft und um mich herum juchzt und jubelt es vor lauter Freude, dass sie sich die nächsten 120 Sekunden in die Höhe katapultieren lassen dürfen und dann in mehrfachem Überschlag durch die Luft gewirbelt werden und sich zusätzlich auch noch die kleinen Gondeln wild im Kreis drehen. Dann geht es im freien Fall nach unten und das Ganze startet noch einmal, bevor die Runde beendet ist.
31.12.1999
„Los- Leute! Wir müschn nu uhnbedingt dasch Bleigiessn machn.“, nuschelt ein ziemlich breiter Massimo. „Ihr wischt ja, das wasch dabei raus kommt, wird wahr!“ Massimo stammt aus einer sehr abergläubischen Familie und so nimmt er die Tradition des Bleigießens sehr ernst. Wir stehen an der Schwelle zum neuen Millenium und die vier Jungs Erik, Massimo, Sevic und Mustafa feiern den Übergang ins neue Jahrtausend und gleichzeitig in Mustafas Geburtstag hinein, der ein Neujahrskind ist. Die anderen, die in etwa den gleichen Pegel haben, lachen hämisch zu der Bemerkung. Sie haben sich bei Massimo getroffen, da seine Eltern heute natürlich in ihrem Restaurant arbeiten. „Lacht ihr nur! Ihr werdet ja schehn… beschwert euch nisch bei mir, wenn euch im neun jaahr n großes Uhnglück ereilt!“, gibt er sehr verwaschen und eingeschnappt zurück. „Alscho gud!“, lenkt Erik ein.“ Dann mach schoma alles fertig. “Dann wendet er sich wieder seiner Flasche Bier zu.„ Digga, ich kann imma noch nich verstehn, warum deine Schwe- Schweschter auf dieschen Vollpf-Pfosten reingefallen ischt!“, lamentiert Musti. „Wasch is an Ramón falsch?“
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Das Familiengeheimnis
„Valeska“, weckt mich Josts angenehme Stimme, „wach auf, wir sind da!“ Verschlafen öffne ich die Augen. „Wow“, murmele ich, als ich das prächtige Anwesen erblicke. Ein weiß gekalktes, zweistöckiges Haupthaus, mit wunderschönen farbigen Mustern verziert, daneben Stallgebäude- für die Pferde, wie ich vermute - und ein Nebengebäude für die Angestellten. Ein riesiger Garten umgibt das Haus – kunstvoll angelegt und sehr gepflegt. „Wow, macht ihr das alles allein?“ Ich deute auf den Garten. „I wo, wir haben einen Gärtner, ein sehr fähiger Mann, der schon für die Schwiegereltern arbeitete. Und für die Haushaltsführung beschäftigen wir Carmen, die auch eine Freundin von Isabella ist. Carmen ist ein absoluter Glücksfall. Ohne sie und Felipe könnten wir die Estancia gar nicht führen.“ „Ihr lebt aber ziemlich dekadent“, merke ich kritisch an. „
Ach nein, hier in Paraguay ist das normal und viele können sich Hausangestellte leisten“, antwortet Jost schulterzuckend. Währenddessen sind wir ausgestiegen und ich komme nicht zu einer Erwiderung, da die Haustür aufgeht und ein Mädchen mit schulterlangem, dunklem Haar und ein kleiner Junge mit Lockenkopf in derselben Farbe mir entgegenstürzen und laut „Hallo Schwester“ brüllen. „Hey“, antworte ich verlegen, als sie bei uns angelangt sind. „Schön euch zu sehen! Ihr seid also Juanita und Jorge.“ Sie nicken und lachen und fangen an, mich mit Fragen zu bestürmen. „Wie ist der Sommer in Deutschland? War der Flug aufregend? Wie findest du Paraguay?“ Die Unterhaltung geht reibungslos auf Deutsch vonstatten. Beide beherrschen die Sprache fließend. Dann erscheint eine hochgewachsene Frau, etwas größer als Jost, im Türrahmen und schreitet würdevoll auf uns zu. „¡Bienvenida, Valeska! ¿Como estaba el viaje?“ „Gracias, estaba muy bien“, stottere ich. Ich habe versucht, vor meiner Abreise etwas Spanisch zu lernen, aber die Zeit war zu kurz. In der Schule habe ich kein Spanisch gelernt und so konnte ich in den letzten vier Wochen nur einen Sprachkurs am Computer machen. Wir gehen rein und Jost führt mich kurz durch die wichtigsten Räume, dann zeigt er mir mein Zimmer. Es liegt im ersten Stock, am Anfang des Ganges. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass es genau neben Ramóns Raum liegt“, mein Jost. „Aber nein, warum sollte es mich stören?“ „Dann ist ja gut.“ „Jost meinst du, ich könnte ein Bad nehmen? Du meintest ja, wir essen erst um 19:00 Uhr, da muss ich mich dringend frisch machen! Ich werde sonst zu müde.“ „Aber natürlich Liebes! Warum habe ich es dir nicht schon längst angeboten?“ Er führt mich in ein großzügig geschnittenes Bad mit einer luxuriösen Badewanne und einer komfortablen Dusche. Dort reicht er mir ein Handtuch und ein Fußhandtuch. Ich hole mir schnell meinen Bademantel und er lässt mich allein – nicht ohne den Hinweis ich könnte gerne den Badeschaum und das Shampoo von Juanita benutzen. Ich lasse mir das Wasser einlaufen, gebe großzügig von dem herrlich duftenden Badeschaum hinzu. Dann ziehe ich mich aus und lasse mich mit einem wohligen Seufzer in die warmen Fluten sinken. Nach circa zehn Minuten schrecke ich aus meiner Wohlfühlzeit auf. Die Klinke der Badezimmertür bewegt sich – jemand drückt sie nach unten! Verdammt, ich habe nicht abgeschlossen! Ich versuche, schnell aufzustehen und nach dem Handtuch zu angeln, das auf einem Ständer neben der Wanne hängt. Doch in dem Moment, wo ich hoch aufgerichtet und wie Gott mich schuf in der Wanne stehe, öffnet sich die Tür ganz und ein junger Mann mit kurzen, dichten und sehr dunklen Haaren – nur mit einem Handtuch bekleidet – erscheint in der Tür. Starr vor Schreck bleibe ich stehen. Der Fremde fängt sich zuerst und sagt: „Lo siento señorita. ¡No sabía que esta ocupado!“ Dabei grinst er mich unverschämt an und seine dunkelbraunen Augen mustern unverhältnismäßig langsam mein ganzes Erscheinungsbild. Endlich gelingt es mir, ein Handtuch zu schnappen und es mir einigermaßen würdevoll umzuhängen. Der dreiste Kerl senkt während dieser gefühlten Ewigkeit nicht einmal den Blick und wendet sich auch nicht höflich ab. „Sorry it‘s occupied, but I forgot to close the door!“ schnappe ich wütend auf Englisch. „Please go now and let me finish my bath!“ „¡Disculpe, señorita!“ Mit diesen Worten verschwindet er. Zitternd stehe ich in der Wanne. Was bildet der sich eigentlich ein?! Das war bestimmt einer von den Viehhirten. Ungehobelter Bursche! Aber der Typ wird noch sein blaues Wunder erleben, das lasse ich mir nicht gefallen! Ich werde Jost von dieser Belästigung erzählen! Jetzt weiß ich jedenfalls, was Jost mir in Bezug auf die Männer hier sagen wollte. Ich lasse das Handtuch auf den Fußboden vor der Wanne fallen, dann sinke ich wieder ins Wasser und schaffe es, mich noch einige Minuten zu entspannen. Zurück in meinem Zimmer setze ich mich im Bademantel auf das sehr bequeme Bett und krame mein Handy hervor. Seit wenigen Jahren besitzt Jan-Hugo eines dieser unheimlich praktischen Geräte und ich habe so lange gebettelt, bis ich zum Abi schließlich eines geschenkt bekam. Am besten finde ich die SMS und natürlich die Möglichkeit auch von unterwegs zu telefonieren. Seit vier Jahren besitze ich immerhin eine eigene E-Mail-Adresse. Jan-Hugo ist nicht der schnellste beim technischen Fortschritt, aber er passt sich den Notwendigkeiten an. „Nun komm schon, du Mistding! Geh schon an!“, murmele ich verärgert. Das Display leuchtet auch auf, aber der Empfang ist nicht existent! „Was soll denn das? Ich fass es nicht!“, rufe ich wütend aus. Wollte ich doch meinen Freunden die neuesten Nachrichten aus Paraguay simsen. Fast wäre ich im Bademantel runtergelaufen, aber schnell ziehe ich mir Jeans, und ein rotes Top an und lege mir sogar Make-up auf. Es ist mittlerweile halb sieben, als ich ins Wohnzimmer trete. „Buenas tardes“, grüße ich unsicher in die Runde. Dann entdecke ich Jost, der entspannt in einem Sessel sitzend liest. „Ah, Valeska. Hattest du ein angenehmes Bad?“ „Geht so“, meine ich säuerlich. „Ich vergaß, die Badezimmertür abzuschließen und bekam überraschend Besuch.“ Ich berichte von dem aufdringlichen Kerl, der mich belästigt hat, als ich nackt im Bad war. „Kannst du deine Mitarbeiter bitte vom Haupthaus fernhalten, wenn sie sich jungen Frauen gegenüber nicht benehmen können! Der soll sich ordentlich bei mir entschuldigen dieses Schwein!“ „Valeska, beruhige dich!“, Jost schaut mich besorgt, aber auch irritiert an. „Schatz, die Mitarbeiter haben ihr eigenes Bad im Angestelltenhaus. Wenn hier tatsächlich einer von ihnen halb nackt vor unserer Badezimmertür herumlungert und dich oder, Gott bewahre, Juanita belästigt, dann bekommt er eine saftige Abmahnung!“ Jost sieht nun nicht mehr so entspannt aus. Juanita, die ihren Namen gehört hat und von ihrem Videospiel aufschaut, bemerkt lässig: „Papa, für mich klingt das nicht nach einem unserer Angestellten, sondern nach ...“ Ein fröhliches „¡Buenas tardes, familia!“ unterbricht ihre Ausführungen. Ich drehe mich nach der angenehmen männlichen Stimme um und erstarre. „Jost, das ist er!!“, bringe ich schließlich hervor. „¡Oh, la chica del baño!“, ruft er erfreut aus und schiebt noch etwas Erklärendes für seine Familie nach. „Ramón, te presento Valeska, nuestra media hermana de Alemania“, erklärt Juanita ihrem Halbbruder grinsend. „Es tu hermanastra!“ Meine rudimentären Sprachkenntnisse reichen aus, um zu verstehen, wie Juanita ihrem großen Bruder genüsslich die Verwandtschaftsverhältnisse darlegt. Immerhin hat mein Stiefbruder den Anstand, bei dieser Erklärung leicht zu erröten und etwas auf Spanisch zu stammeln. „Haha!“, lacht Juanita und erklärt mir: „Er dachte, du wärest meine deutsche Austauschpartnerin! Die kommt aber erst in den Frühjahrsferien im Oktober!“
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„Ramón, sie haben Miguel verhaftet!“, kreischt die aufgeregte Stimme von Angela durch die Leitung. Ich erstarre und halte kurz inne. „Angela, beruhige dich! Was ist genau passiert? Was wirft man ihm vor?“, frage ich, obwohl ich den Grund der Verhaftung genau kenne. „Oh, Ramón, ich verstehe das nicht“, weint sie nun. „Sie sagen, er hätte in einer terroristischen Organisation mitgemacht und wäre ein Vaterlandsverräter.“ „Sch, sch, Süße, bitte weine nicht so! Es ist gut, dass du mir Bescheid gibst. Ich werde sehen, dass ich sofort einen Anwalt für ihn bekomme.“ Ich verschweige ihr allerdings, dass es bis morgen dauern könnte, bis er zu ihm gelassen wird, und dass es dann schon zu spät sein kann. Miguel könnte dann schon das wenige, das er weiß, ausgeplaudert haben. „
„Ramón, warum sollte Miguel so etwas tun?“, fährt sie etwas gefasster fort. „Ach, Kleines, man schaut nicht in einen Menschen rein“, sage ich. „Aber ich denke, es sind haltlose Vorwürfe, und wir kriegen ihn frei. Aber wie ist es passiert?“, frage ich. „Ich wollte gegen 19 Uhr weg und war gerade ein paar Schritte die Straße hinuntergegangen, als ein Polizeiwagen an mir vorbeifuhr und vor eurem Haus hielt. Ich war beunruhigt und versteckte mich in einem Hauseingang. Zu Recht, denn keine zehn Minuten später kamen sie mit Miguel in Handschellen wieder runter. Ich schnappte den Grund der Verhaftung auf. Dann stiegen sie in ein Auto und fuhren mit ihm weg. Dann habe ich dich angerufen.“ „Das war sehr besonnen und klug, Angela“, sage ich. „Okay. Ich werde alles versuchen, ihn da rauszubekommen. Es wird wieder gut!“ „Danke, Ramón“, sagt sie einfach und legt auf. Mittlerweile stehe ich vor Black Lightnings Box. Ich zittere und schaue wie betäubt das Handy an. Oh, Dios mio, Miguel, mein bester Freund! In genau diesem Augenblick befragen sie ihn vielleicht schon, und sie werden nicht zimperlich mit ihm umgehen. Ich schaudere, wenn ich daran denke. Ich begrüße dann aber Black Lightning und vergrabe mein Gesicht in seiner Mähne. In dem Moment rollen mir zwei Tränen über die Wangen. Black Lightning wiehert beruhigend, weil er aber meine Unruhe spürt, tänzelt er auch von einem Bein aufs andere. Schließlich reiße ich mich zusammen und wähle die Nummer eines befreundeten Anwalts von Pedro, den wir in einem solchen Fall kontaktieren sollen. Dieser verspricht, gleich zu versuchen zu Mig zu kommen. Ich habe allerdings keine große Hoffnung. Sie werden ihn vor morgen Früh nicht zu ihm lassen, und bis dahin haben sie Migs Geständnis und alle Namen, die sie brauchen, darunter auch meinen. „Oh, Black Lightning, was für ein Schlamassel“, sage ich zu meinem Pferd. Dann hole ich noch mal tief Luft und rufe Pedro an. Leider geht er nicht ans Telefon, und ich hinterlasse ihm eine Nachricht auf seiner Mailbox: „Pedro, bitte ruf dringend zurück. Wir haben einen Notfall mit Miguel. Ich brauche deinen Rat.“ ¡Chale! Ich muss es gleich nachher noch mal probieren oder spätestens morgen Früh. Ich muss ihn warnen, denn jetzt, wo sie Mig haben, wird Pedros Name früher oder später fallen. Höchstwahrscheinlich wird Pedro mir sagen, dass ich verschwinden soll. Für solche Fälle gilt die Abmachung, dass wir uns zur argentinischen Grenze durchschlagen sollen und uns dort möglichst schnell mit einem Flieger in Richtung USA begeben sollen. Ich werde gleich packen, und sollte ich ihn bis morgen nicht erreichen, um vier Uhr aufstehen und mit dem Auto über die Grenze fahren.